Angesichts des Angriffskriegs von Russland und seinem Präsidenten Putin auf die Ukraine fragen sich viele Menschen wie man unabhängiger von Russlands Kohle, Öl und Gas werden kann. Doch neben Energiespartipps sind Umstellungen aufgrund von Lieferengpässen und Fachkräftemangel in den entsprechenden Branchen nicht ganz einfach. Wir sprachen dazu mit unserem Grünen-Mitglied Wilfried Haas. Der Diplomingenieur ist seit mehr als 35 Jahren selbstständig tätig im Bereich Erneuerbare Energien und als Energieberater. Seit nunmehr 20 Jahren leitet als Geschäftsführer eine Firma mit Schwerpunkt „erneuerbare Energie“ und Bürgerbeteiligung. Wilfried war lange Jahre im Ingelheimer Stadtrat und u.a. Mitglied im Ausschuss für Klima und Umweltschutz. Ergo ein echter Experte für Fragen die derzeit viele Menschen bewegen.
Wenn man sich jetzt bemüht, Strom, Gas und Öl zu sparen, was hat das für Vorteile?
WH: Zunächst einmal entlastet es den eigenen Geldbeutel. Die Reduzierung des Bedarfes an fossilen Energieträgern hilft beim Kampf gegen die Klimakatastrophe und nicht zuletzt bedeutet weniger Energiebezug aus Russland, weniger Geld für Putins Kriegskasse.
Was wären denn konkrete Tipps zum Energiesparen?
WH: Idealerweise fängt das Energiesparen in der eigenen Wohnung an. Dort die Temperatur abzusenken, ist meist ohne Komforteinbuße möglich. Und als Autofahrer*in hat jede*r die Möglichkeit mit einfachen Mitteln Energie zu sparen. Bei Kurzstrecken, wenn das Auto mit kaltem Motor, besonders viel Sprit frisst, sollte man es stehen lassen und stattdessen mit dem Fahrrad oder zu Fuß den Weg zurücklegen. Wenn ein Autoverzicht nicht möglich ist, hilft eine freiwillige Tempobeschränkung: auf der Autobahn nur 100 km/h, auf Landstraßen nur 80 km/h und innerorts nur Tempo 30.
Das sind gut Tipps für Öl und Gas. Viele Menschen würden gerne auch beim Strom unabhängiger werden und planen PV-Anlagen. Wenn man sich aktuell aber um eine Photovoltaikanlage bemüht, wird man kaum fündig, da alle Firmen extrem ausgebucht sind. Man liest von Installationsinfarkt. Wie ist denn da die Lage?
WH: Aufgrund zunehmenden Umweltbewusstseins in Verbindung mit dem verbreiteten Einsatz von immer mehr E-Mobilen war bereits die letzten Jahre eine kontinuierliche Nachfragezunahme im PV-Sektor vorhanden. Durch Putins Krieg in der Ukraine ist die Nachfrage geradezu explodiert. In Kombination mit zunehmendem Fachkräftemangel und Lieferschwierigkeiten bei Grundstoffen führt dies zu den aktuell vorhandenen Wartezeiten.
Lieferengpässe sind das eine, aber was sollte beim Problem mit den Fachkräften passieren?
WH: Damit das Handwerk genügend „Nachwuchs“ erhält ist ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel erforderlich. Dazu ist es auch notwendig, dass die Kinder und Jugendlichen während ihrer Schulausbildung mit handwerklichen Fertigkeiten in Berührung kommen und so lernen, wie schön und erfüllend es ist, mit den eigenen Händen etwas zu bauen oder zu erschaffen.
Und was können Menschen machen, die jetzt gerne eine PV-Anlage hätten? Ist das gar etwas für kenntnisreiche Heimwerker?
WH: Die Errichtung einer PV-Anlage ist kein Betätigungsfeld für Heimwerker. Die Installation der Anlage auf dem Dach kann nur ein Dachdecker sicher und dauerhaft ausführen. Die PV-Anlage als elektrisches Kraftwerk ist mit dem öffentlichen Stromnetz gekoppelt und kann deshalb nur von zugelassenen Elektrikern installiert werden. Es bleibt also nur die Möglichkeit sich in die Warteschlange einzureihen. Einzige Ausnahme ist die Anbringung eines steckerfertigen Plug-In-Modules.
Für wen lohnt sich grundsätzlich denn die Installation einer PV-Anlage?
WH: Grundsätzlich lohnt sich der Einbau bei jedem Gebäude, in dem auch Strom verbraucht wird und das Haus eine ausreichend große, freie Dachfläche zur Verfügung hat.
Lohnt sich das nur bei Dächern mit Südseiten? Und wie sieht es bei Flachdächern aus?
WH: Die Dachausrichtung und Dachneigung spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. D.h. mit Ausnahme von Dachflächen, die Norden orientiert sind eignen sich alle Dachflächen – auch Flachdächer. Bei Flachdächern werden die Anlagen jedoch nicht fest verschraubt, sondern durch die Art der Aufständerung und eine geringe zusätzliche Beschwerung an Ort und Stelle gehalten.
Worauf sollte man denn bei der Installation einer Anlage achten?
WH: Da man bei einer PV-Anlage keine bewegten Teile benötigt, gibt es auch nur einen geringen Verschleiß. Beim Einsatz von qualitativ hochwertigen Modulen werden problemlos Lebensdauern von 40 bis 50 Jahren erreicht. Und mit dem passenden Solarspeicher lässt sich wirtschaftlich eine durchschnittliche Autarkie von 80 % erreichen. D.h. nur noch 20 % des immer teuer werdenden Stromes muss zugekauft werden.
Wie sieht es neben Klimaschutz und Energiespareffekten denn mit der Wirtschaftlichkeit von PV-Anlagen aus? Rechnet sich das bzw. wie lange dauert die Amortisierung?
WH: Bei passender Auslegung der Anlage ist PV prinzipiell wirtschaftlich und spart dauerhaft Strombezugskosten ein. In jüngster Vergangenheit haben sich richtig dimensionierte Anlagen in ca. 10 Jahren amortisiert. Aufgrund der aktuellen Preissteigerungen verlängert sich die Amortisation etwas.
Neben den Immobilienbesitzern fragen sich auch Mieter, ob sie beim Thema PV-Anlage etwas tun können. Lohnen sich hier Balkonkraftwerke?
WH: Mieter können relativ problemlos ein Plug-In-Modul auf ihrem Balkon anbringen. Ich persönlich rechne damit, dass aufgrund der Ankündigungen der neuen Bundesregierung der Einsatz in Mehrfamilien- und Miethäusern in der Zukunft für die Mieter interessanter wird.
Lohnt es sich auch schon ältere PV-Anlage zu modernisieren?
WH: Wenn die „Alt“-Anlage mit qualitativ hochwertigen Modulen bestückt wurde, ist normalerweise eine Modernisierung nicht wirtschaftlich, da gute PV-Module 40 – 50 Jahre mit nur geringen Leistungseinbußen betrieben werden können.
Die Stadt Ingelheim hat aufgrund einer Initiative der Grünen jetzt eine PV-Förderung aufgelegt. Wie beurteilst du das Programm?
WH: Es führt sicher dazu, dass mache Ingelheimer die Anschaffung einer PV-Anlage planen, die das in der Vergangenheit noch nicht getan haben. Aber mit Sicherheit müssen sie sich derzeit auf längere Warte- / Lieferzeiten einstellen.
Verlassen wir mal das Thema PV-Anlagen. Hast du auch einen Überblick wie es derzeit bei der Installation von energiesparenden Heizungsanlagen aussieht?
WH: Es macht Sinn eine elektrisch betriebene Wärmepumpe für die Heizung in Betracht zu ziehen, wenn das eigene Solarkraftwerk auf dem Dach schadstofflosen Strom dafür liefert.
Und wenn sich die Auftragslage wieder entspannen würde, welche Heizungsanlagen sind die besten „Klimaschoner“?
WH: Eine Wärmepumpe in Verbindung mit der eigenen PV-Anlage verursacht im Vergleich zu einem herkömmlichen Öl- oder Gas-Heizkessel fast keine CO2-Immissionen mehr.