Zum Hauptinhalt springen

Die Haushaltsrede 2023 -- Bündnis 90 / Die Grünen

Haushaltsrede zum Haushalt 2023 der Stadt Ingelheim

Schon sehr lange ist uns bewusst: Die Abhängigkeit unserer Stadt von einem sehr großen Steuerzahler kann zum Problem werden. Und nun zeichnet es sich ab, dass wir umsteuern müssen, um unseren Haushalt zukunftssicherer zu machen. In diesem Zusammenhang wird vermehrt gefordert, die „freiwilligen Leistungen“ auf den Prüfstand zu stellen, sodass man fast meinen könnte, „freiwillige Leistungen“ wären etwas schlechtes.

Für mich ist das ein guter Grund, hier und heute die Ehrenrettung der „freiwilligen Leistungen“ zu versuchen.

„Freiwillige Leistung“, das klingt irgendwie überflüssig, abseitig, nach dem Motto „das kann weg“. Dabei bin ich mir sicher, dass jeder hier im Raum genau weiß, dass das nicht stimmt. Im Gegenteil: „Freiwillige Leistungen“ sind für eine Gesellschaft wichtig - so wichtig wie das Salz in der Suppe. Doch wenn die „freiwillige Leistung“ als „Problem für den Haushalt“ gesehen wird, beginnt die Erosion ihrer Wertschätzung. Je öfter der Begriff im Zusammenhang mit Sparen genannt wird, um so mehr wird er diskreditiert, beschädigt, früher hätte man gesagt: „besudelt“. Und das ist der Grund, warum ich mich hier an einer Reinwaschung versuchen will.

Zur Klarstellung: „Freiwillige Leistungen“ im verwaltungsrechtlichen Sinn haben wenig mit dem zu tun, was wir Bürgerinnen und Bürger darunter verstehen. Verkürzt kann man sagen: Aufgaben, die den Kommunen durch Landes- und Bundesgesetze und Verordnungen übertragen werden, sind Pflichtaufgaben - Land oder Bund bestellt und bezahlt – die Gemeinde setzt es um. Alles andere, wozu uns keine Verpflichtung auferlegt wurde, ist „freiwillig“!

Wir reden also hier über einen Begriff, der von Verwaltung und ADD pflichtgemäß sehr verkürzt betrachtet wird, zu dem aber jeder Mensch einen vollkommen anderen und emotionalen Bezug hat.

Bei den Haushaltsberatungen sind wir gewohnt, auf die „Kosten“ der f“reiwilligen Leistungen“ zu schauen. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit aber hier auf den „Nutzen“ lenken, auf das, was hinten dabei herauskommt.

Sozialarbeit kostet Geld, klar! Und sie ist brutal sinnvoll, auch klar! Aber was bewirkt sie auf persönlicher oder gesellschaftlicher Ebene? Ihre Wirkung ist schlicht nicht in Euro zu beziffern. Beispiel: Welchen Wert hat die Aussage: „Johanna S. aus I. hatte immer Probleme in der Schule. Aber jetzt hat sie ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen“? Jeder versteht: Wir können es uns nicht leisten, auf die Unterstützung durch Soziale Arbeit zu verzichten!

Ob Frauennotruf, Lernmittelfreiheit, Zuschuss für Weihnachtsmarkt und Sportverein, um nur ein paar Beispiele zu nennen: Die Liste der „freiwilligen Leistungen“ ist sehr lang, und fast immer geht es um wichtige Aufgaben, für die letztlich die Kommune in der „Pflicht“ wäre, wenn es nicht die Aufgabenträger gäbe, die sich darum kümmern. Oft erschließt schon ein relativ geringer finanzieller Beitrag der Stadt die wertvolle ehrenamtliche Arbeit! Der Zuschuss drückt hier die Wertschätzung der Stadtgemeinschaft für die geleistete Arbeit aus.

Beim Klimaschutz wird die Begrifflichkeit so richtig irre: Niemand käme auf die Idee, Maßnahmen zum Klimaschutz oder zur Klimafolgenanpassung als „freiwillig“ zu bezeichnen! Ganz im Gegenteil: Wir werden brutal dazu gezwungen zu handeln!

Aber wer zwingt uns? Das Land? Die ADD? Nein, es sind schlicht die Gesetze der Natur!

Ein Satz wie: „Die Katastrophe im Aartal zwingen Staat und Gesellschaft dazu, freiwillige Leistungen aufzubringen“ klingt absurd und zynisch. Doch wir wissen schon lange: Die Folgen unserer Art zu leben, die Folgen unserer sogenannten „zivilisatorischen Errungenschaften“ zwingen uns zum Umsteuern - das ist ziemlich genau das Gegenteil von freiwillig!

Aber im Katalog der kommunalen Pflichtaufgaben kommt Klimaschutz nicht vor!

Ich sage dazu:

Freiwillig oder nicht - wenn wir unseren Stadtwald klimaresilienter machen wollen, kostet das kurzfristig Geld, aber der Bilanzierungszeitraum eines Waldes ist nicht ein Jahr, sondern ein Jahrhundert!

Freiwillig oder nicht - PV-Anlagen zur Eigenstromnutzung oder Energieeinsparungen brauchen wir jetzt - bei privaten Haushalten und vor allem bei öffentlichen Gebäuden. Und der Witz: Sie rechnen sich sogar!

Zum Schluss will ich zugeben: Wir leisten uns manchmal auch Ausgaben, die als Denkanstoß ihre Berechtigung haben, die aber nicht unbedingt nötig sind. Darüber wollen wir sachlich sprechen, aber ohne dabei gleich den Begriff der „freiwilligen Leistung“ grundsätzlich in Misskredit zu bringen!

Vielleicht halten Sie meinen Vortrag für Wortklauberei! Dem halte ich entgegen, dass wir in einer Zeit leben, in der Meinungsmache genau auf dieser Ebene stattfindet: bei der Definition von Begriffen. Wer einen Begriff bewusst oder unbewusst umdeutet, kann das Denken von Vielen beeinflussen und Debatten ins Rutschen bringen. Aber ich hoffe, wir sind uns alle einig: Sie darf nicht auf der Strecke bleiben, die „freiwillige Leistung“!

Fraktionssprecher Bündnis 90/Die Grünen, Heinrich Jung, Ingelheim 16.01.2023

Zurück